Seminar Gruppentherapie
Der Begriff der Gruppe:
Streng genommen ist der Begriff Gruppe ein unscharfer Terminus.
Was ist also eine Gruppe?
Wenn wir im digitalen Zeitalter im Internet nach einer Definition des Begriffes Gruppe suchen, werden wir belehrt, dass Gruppe, Gattung, Klasse, Komplex, Garnitur, Kategorie bedeutet.
All diese Begriffe bleiben als präzise Antwort, auf die Frage, was Gruppe sei, wenig hilfreich.
Schlagen wir im Duden nach, ist folgendes zu finden:
- Bedeutungen
- Gemeinschaft, Kreis von Menschen, die aufgrund bestimmter Gemeinsamkeiten zusammengehören, sich aufgrund gemeinsamer Interessen, Ziele zusammengeschlossen haben
- (Sport) bestimmte Anzahl von Mannschaften oder Spieler[inne]n, die zur Ermittlung eines Siegers oder einer Meisterschaft Qualifikationsspiele gegeneinander austragen
- (Militär) kleinste Einheit aller Truppengattungen
- Einheit bei Polizei und Feuerwehr
- (Geologie) Zusammenfassung mehrerer die Altersfolge der Schichtgesteine betreffender Systeme [1]
Kritisch betrachtet lässt diese Definition von Gruppe eine breite Palette von Interpretationen zu. Wir lesen ja im Duden wörtlich, dass die Gruppe eine kleine Anzahl von „zufällig“ zusammen gekommenen Leuten sei. Das Wort „zufällig“ ist in diesem Kontext überraschend und befremdend, es würde bedeuten, dass eine kleine Anzahl von Leuten ergo keine Gruppe sein könne.
Nach dieser Definition wäre eine Anzahl von Passanten, die „zufällig“ auf die grüne Phase einer Verkehrsampel warten, bereits eine Gruppe.
Es mag sein, dass eine Anzahl von Menschen temporär und rein visuell das Bild einer Gruppe vermitteln können, die zufällig im Autobus, vor einem Amtsschalter, in der U-Bahn, oder wo auch immer, vorübergehend zusammen kommen, ebenfalls Gruppen seien, die aber alltägliche Bilder und gewöhnliche Phänomene, ein Ballungszentrum, nicht eine Gemeinschaft.
Im Kontext zum psychotherapeutischen Verständnis und Definition wäre die Gruppe eine von Relationen und gemeinsamen Interessen, im weitesten Sinne des Wortes, motivierte Gemeinschaft.
Das Wort Gemeinschaft signalisiert eindeutig das Gemeinsame und Verbindende in der Gruppe.
Die Motive, die eine Gruppenbildung bewirken, sind unendlich viele. Hier aus psychotherapeutischer Perspektive gesehen, sind jene Motive von Interesse, die auf real existierendes DASEIN und damit gekoppelte Probleme hindeuten, d.h. existentielle Krisen in all ihren Erscheinungsformen.
Eine Gruppe ist keine einsame Insel, abgeschottet vom Rest der Welt. Eine Gruppe ist ein System, ein offenes Mikrosystem, verschränkt im allumfassenden, soziokulturellen Makrosystem, das wir Gesellschaft nennen. Die Gruppe ist in einem ständigen Osmoseprozess mit den gesellschaftlichen Realitäten des Makrosystems. Die Teilnehmer in der Gruppe sind im Makrosystem sozialisiert und auf ihre „Rollen“ präformiert.
Wir werden in bereits vorhandene Strukturen und Normen geboren und geformt. Wir lernen die uns zugedachten Rollen zu übernehmen. Wir werden, wie Helm Stierlin, einer der profiliertesten Theoretiker und Praktiker der systemischen Familientheorie meint, delegiert und missioniert wie unsere Erzieher, bzw. unsere Eltern ihrerseits delegiert und missioniert worden sind ad infinitum.
Die Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum und weshalb die Menschen mit ihren „Rollen“ und „Masken“ nicht zurechtkommen und wie der Commonsense ausdrückt, aus ihren Rollen fallen, fällt in den Kompetenzbereich der Psychotherapie. Die Kenntnisse der Psychotherapie sind aber nicht in Stein gemeißelt und evolvieren mit der Zeit und parallel zu den gesellschaftlichen Umwälzungen und Änderungen die ihrerseits Paradigmenwechsel in der therapeutischen Sichtweise bewirken.
In diesem Sinne ist das systemische Psychotherapiemodell ein offenes und dogmenfreies Therapiemodell, dessen Maxime Hilfe zur Selbsthilfe normativ ist.
Das folgende Zitat von Harry Merl unterstreicht diese Qualität der systemischen Therapie als dogmenfreies Modell: „Ich habe auch gelernt Informationen so verrückt oder unwahrscheinlich sie erscheinen möchten, nicht einfach als unwichtig oder bedeutungslos zu verwerfen, sondern als oft stark verschlüsselte Aussagen über die Existenz zu sehen. Ich habe auch gelernt, Konzepte zu verbinden und erkennen, wie wichtig es ist, alles von verschiedenen Gesichtspunkten aus zu sehen (…). Gegebenenfalls auch mir bis dahin unvertraute Standpunkte zuzulassen und dann wenn notwendig, zu entscheiden, was zu tun nützlich ist. Ich habe das für mich „integriert Denken“ genannt. Integriert zu denken, das mich zunächst verunsichert hatte, weil ich meine erlernten und daher sicher erscheinenden Standpunkte verlassen musste, wurde immer reizvoller und eröffnete mir quasi das „Universum der Sichtweisen“, das ich betreten hatte.“
Integriert denken nach Merl, bedeutet holistisches und nicht lineares Denken, ein offenes kreatives suchen, um aus unendlich vielen Möglichkeiten der therapeutischen Interventionen, das Passende zu generieren. Integriertes Denken setzt latent die ständige Beobachtung und Rezeption der evolutionären Prozesse in der Gesellschaft als Makrosystem voraus, die Subsysteme und folglich das Individuum prägen. Systemische Therapeuten, nach Merl, sind Helfer und begleiten die Hilfesuchenden, schrittweise auf ihren Weg um gemeinsam praktikable Lösungen für ihre Probleme zu finden. Einerlei, ob die Hilfesuchenden, als Einzel-, Paar- Familien oder Gruppen auftreten. Ein systemischer Therapeuten als Helfer in einer Gruppe, sollte einerseits allparteiisch, andererseits „neutral“ sein, d.h. frei von vorgefassten Maxime, die Gruppe als System kennenzulernen um die Intentionen der Gruppe wahrnehmen zu können.
Gruppen begleitende TherapeutInnen sollten äußerst aufmerksam zuhören können und sie sollten die fassettenreichen nonverbalen Körpersignale der Gruppenteilnehmer als codierte Botschaften analytisch registrieren. In der Anfangsphase des gruppentherapeutischen Prozesses sind Übungen und Rollenspiele als produktiv konnotiert, die die Fähigkeit und Bereitschaft der Teilnehmer trainieren, um einander aufmerksam zuhören zu lernen, als ICH und DU eine neue Kommunikationsform zu schaffen.
Diese Maxime ist der Schlüssel zu einer zielführenden Gruppenarbeit innerhalb einer HABEN-orientierten, empathiearmen Zeitalter, das narzisstische Tendenzen, die durch die Allgegenwart von audiovisuellen Medien gefördert und infantilisiert werden. Die Folgen sind abhängige, verunsicherte, des ICH verlustig gewordene Zeitgenossen.
Guppendynamik
Kontraproduktive Phänomene, die in einer Gruppe, egal welcher Zielsetzung und Intension, auftreten können, sind Gruppendynamiken daher wie: Mobbing, Koalitionsbildungen, Bildung von Subsystemen, Übertragung und Gegenübertragung und last but not least Instrumentalisierung der Gruppenleiter durch Gruppenteilnehmer mit narzisstischer Persönlichkeitsstruktur.
Der Terminus Übertragung stammt aus der Psychoanalyse und der freudianischen Tiefenpsychologie.
C.G. Jung erweitere diesen Begriff.
Am Deutlichsten kann Übertragung als Projektion interpretiert werden, wenn ein Mensch seine verdrängten Wünsche, Affekte und Erwartungen auf neue Adressaten projiziert.
Im gruppentherapeutischen Kontext ist in der Regel der Adressat der gruppenleitende Therapeut.
Übertragung kann emotional sowohl positiv als auch negativ manifest werden.
Positive Empfindungen, wie Zuneigung, ‚Vertrauen und Liebe, stehen den negativen Gefühlen, wie Abneigung, Ablehnung, Wut und Hass gegenüber.
Die positiven wie die negativen Empfindungen gegenüber den Adressaten (TherapeutInnen) sind instabil und orientieren sich nach zu erwartenden Rückmeldungen seitens des Gruppenleiters.
In der Psychotherapie sind diese Rückmeldungen als Gegenübertragung konnotiert, als mögliche Reaktionen des Therapeuten auf manifeste Übertragung seitens der Gruppenteilnehmer.
Die Komplexität der Übertragung in all ihren Erscheinungsformen stellt den Therapeuten vor Herausforderungen, die er mit dem Merl’schen Imperativ, d.h. Allparteilichkeit und neutrale Haltung, unterstützt durch ein reiches Erfahrungspotential bewältigen könnte um negative gruppendynamische Implikationen der Gegenübertragung vorzubeugen, den Übertrag und Gegenübertragungen sind Phänomene, die in allen Gruppenformationen auftreten können.
Im alltäglichen sozialen Leben sind Übertragungs- und Gegenübertragungen ein Bestandteil der interpersonalen Beziehungen.
Metapher:
In der hellenischen Mythologie lässt Odysseus an den Mast des Schiffes binden um die verführerischen und Sirenengesänge hören zu können, ohne davon mitgerissen zu werden,
Wenn wir hier die betörenden und mitreißenden Sirenengesänge als Übertragung interpretieren, dann könnte die kluge Strategie des Odysseus, „gebunden“ zu sein ein möglicher Verhaltensmodus für den Gruppenleiter in Fragen der Gegenübertragung zu sein, d.h. er ist normativ gebunden an die Allparteilichkeit und Neutralität, die ihn nicht mitreißen lassen.
Was die quantitative Formation der Gruppen betrifft, so wird vorwiegend 7-12 Teilnehmer als ideal empfunden. 4 Personen bilden eine kleinstmögliche Gruppe.
Die Anzahl der Teilnehmer in Großgruppen variieren zwischen 30-80 Personen und können in bestimmten therapeutischen Modellen bis 200 Teilnehmer erfassen.
Die Frage nach der Effizienz der gruppentherapeutischen Modelle hängt weitgehend von der Zielsetzung und interventionalen Methoden ab, die praktiziert werden.
Mentale Phänomene des Menschen und seine sensorische Wahrnehmung der Außenwelt kann nicht mathematisch genau gemessen werden, weil als subjektive Prozesse nicht objektivierbar sind, daher ihre Wirksamkeit keine faktischen, sondern eine wahrscheinliche sein kann.
Mentale Phänomene evolvieren im Kontext zu ihrer Außenwelt und entziehen sich damit der Messbarkeit.
Mit Erwin Schrödinger, Quantenphysiker und Nobelpreisträger gesprochen, sind lebende Organismen „Werdende“, d.h. wir werden. Ergo sind Daten über Effizienz in der Therapie im Allgemeinen eine wahrscheinliche Momentaufnahme.
[1] Internet: http://www.duden.de/rechtschreibung/Gruppe_Team_Abteilung_Einheit